Wenn sich eine Messe „Festival“ nennt und im hippen München die Rekruter beim Schlangestehen am Einlass von einem Künstler im Superman Kostüm umgarnt werden, lässt das einiges erahnen. Das selbsternannte „Expofestival“ TalentPro in München zeigte aktuelle Trends und Zukunftsvisionen im Recruiting auf.
Unsere Marketingleiterin Carola Schneider berichtet von Active Sourcing über Geo Location, Robot Vera und dem ganz normalen Recruitingwahnsinn
TALENTpro 2018 in München – „Inspiring Recruiting Professionals!“
In einem waren sich ausnahmslos alle einig: Bewerber sind gefragt! „Rekruter sind Verkäufer. Wir müssen unser Unternehmen, unsere Jobs den Kandidaten verkaufen.“ Diese Aussage kam nicht nur vom Budapester Gabor Toldi in seinem Vortrag über das „recruitment handbook in the new age“.
Fast alle Referenten streiften das Thema Bewerbermarkt, mal nur am Rande, mal mehr in der Tiefe. Neben der angespannten Bewerbersituation und den veränderten Anforderungen der Bewerber an Ihre Arbeitgeber, war auch die Veränderung ganzer Berufsbilder in der digitalen Welt Thema.
Wie entwickeln sich künftig Call Center (auf dem Foto links: Roboter Amelia, die 20 Sprachen spricht und liest)? Wie schaut der Supermarkt der Zukunft aus?
Und was muss ein Rekruter wissen, um die künftig gesuchten Mitarbeiter fürs Unternehmen zu finden (oder ggf. mit den HR Kollegen weiterzuentwickeln)?
Kandidat im Mittelpunkt auf der TALENTpro
Im Mittelpunkt fast aller Vorträge stand die Frage: Für welche Stelle benötige ich welchen Bewerber? Wo finde ich diesen und wie spreche ich ihn an? Wie begeistere ich ihn für mein Unternehmen?
Dorthin gehen, wo der Bewerber ist
Neben einem Mix aus klassischen Stellenanzeigen auf den – als Aussteller größtenteils anwesenden Premium-Jobbörsen – und Maßnahmen für das Employer Branding ist „Programmatic Job Advertising“ eines der Trendthemen der Messe – wie auch bereits auf der Personal Süd 2017, wir berichteten. Stellenanzeigen werden nicht mehr nur auf Jobbörsen ausgespielt, wo sie „nur“ aktiv Jobsuchende wahrnehmen, sondern in passendem Kontext als Werbeanzeigen.
Sie suchen einen Buchhalter? Dann fragen Sie sich: Welche Fachinformationen lesen potenzielle Bewerber? Welche Newsletter haben Sie abonniert? Welche Hobbys haben sie? Begeistern Sie sich eher für Sport oder Wellness? Tierschutz oder Luxusreisen? Welche „peer group“ umgibt sie? Und aus dieser sogenannten „candidate persona“ leiten Sie dann Ihre Personalmarketing-Maßnahmen ab – im besten Fall automatisiert ausgespielt mittels real-time-bidding oder anderen Tools des Online-Marketing.
The Tech Titans all want your face – Visual Sourcing
Oscar Mager von Evertalent berichtet, wie er Active Sourcing über Google Images betreibt. Anhand von Fotos, die beispielsweise von den Besuchern auf Fachmessen aufgenommen wurden, recherchiert er aus den Bildern interessante Kandidaten und sucht nach deren Lebenslaufinformationen und Kontaktdaten.
Seine Zukunftsvision: Google Glasses für Rekruter. Im Vorbeigehen scannt der Rekruter Passanten und bekommt am Rande des Sichtfelds alle relevanten Lebenslaufdaten eingespielt. Und natürlich die entsprechenden Kontaktdaten…
Auch zahlreiche andere Referenten zeigen Trends in der Direktansprache von Kandidaten z.B. in XING, über Bool’sche Suche etc. – schließlich sind geschätzt etwa 60 Prozent der Bewerber „nur“ passiv jobsuchend.
Zurück zu den Basics: Mitarbeiterempfehlungen als DER Rekrutierungskanal?!
Weniger experimentell, aber trotzdem wirkungsvoll: Institutionalisierte Mitarbeiterempfehlungsprogramme. Wer deutlich unter 30 Prozent Rekrutierung aus Mitarbeiterempfehlung hat, habe Potenzial nach oben.
Ob firstbird oder talentry – Die Anbieter liefern den Besuchern an den Ständen auch gleich die Lösung: wer sein Empfehlungsprogramm softwaregestützt über eines der beiden Tools abwickelt, dem werden mehr und motiviertere, besser passende Bewerber versprochen.
Ein positives Bewerbungserlebnis – „Candidate Experience“ ist gefragt
Virtual Reality Brille, Chatbots oder Gamification – auch wenn der Bewerber erstmal „identifiziert“ ist, wird er umworben.
Attraktivitätscheck bei der Deutschen Bahn
Nicht nur mit der Frage, woher Bewerber kommen, sondern auch wie sie das Unternehmen als potentiellen Arbeitgeber wahrnehmen, beschäftigt sich u.a. die Deutsche Bahn und dort Kerstin Wagner, Head of Talent Acquisition. Kein Wunder: Bei 247.000 Bewerbern im Jahr (!) – vom Lokführer über den Developer bis zur Bürokauffrau – ist das keine einfache Sache.
Ziel der Deutschen Bahn ist es daher nicht nur, mittels Employer Branding Kampagnen (jüngst z.B. „Willkommen, du passt zu uns“) Bewerber zu „locken“. Der Logistik-Gigant prüfte seine Prozesse und tauchte u.a. mit einem Attraktivitätscheck aller einzelnen Fachbereiche tief in seine Arbeitgebermarke ein.
Hürden abbauen – Bewerbungsprozesse einfach und professionell gestalten
Daneben sei es aus ihrer Erfahrung wichtig, Hürden für den Bewerber abzubauen, so Kerstin Wagner – seien es für Bewerber aufwändig zu erstellende Anschreiben, Zeugnisnoten bei Schülerbewerbungen oder Fragen von potenziellen Kandidaten außerhalb der regulären Arbeitszeiten der Rekruter. Um den 6,3 Mio. Nutzern der Deutsche Bahn Karriereseite künftig einen 24/7 Service zu bieten, testet das Unternehmen derzeit seinen eigenen Chat-Bot.
Auch der badische „Hidden Champion“ SEW Eurodrive stellt das Bewerbererlebnis in den Mittelpunkt. Mit einer großen Umstrukturierung des Personalbereichs und Einführung eines Recruiting Centers möchte das Unternehmen sich weiter als attraktiver Arbeitgeber positionieren.
Mit einem schnellen, professionellen und sympathischen Bewerbungsprozess punktet das Unternehmen, jüngst erneut mit dem Candidate Experience Award ausgezeichnet, bei seinen rund 30.000 Kandidaten jährlich – berichtet Stefanie Schiebol, Leiterin Sourcing & Recruiting.
Langfristige Bindung von (potenziellen) Mitarbeitern als HR-Ziel
Das positive Bewerbererlebnis zählt nicht nur, wenn es tatsächlich zu einer Einstellung kommt. Kandidaten, ehemalige Kandidaten aber auch ehemalige Mitarbeiter in Talent-Management-Systemen, Alumni Communities oder anderen Netzwerken langfristig ans Unternehmen zu binden und zu Botschaftern der Arbeitgebermarke zu machen, ist die Herausforderung von Mitarbeitern im HR ebenso wie Führungskräften in den Fachbereichen und natürlich Rekrutern.
Offene Stellen
Aber braucht es den Rekruter überhaupt noch?
„Hello, my name is Vera. I am a robot. I’m searching for the company ABC for PHP developers.“
So oder ähnlich meldet sich der mit dem HR Tech World Award 2017 ausgezeichnete „Robot Vera“ bei potenziellen Bewerbern v.a. in Russland. Rund 1 Mio. Telefon- und Videointerviews hat Vera in den letzten 9 Monaten geführt.
Das Ende des Rekruters?
Wir denken nein! Aber ein neues Zeitalter fürs Recruiting! Ein Zeitalter, in dem nicht nur in der Personalverwaltung, sondern auch der Personalsuche vieles IT-gestützt oder (künftig voll-)automatisiert abläuft.
Aber am Ende wird noch lange das Gespräch von Mensch zu Mensch stehen.